Queeres Trailrunning: Wie inklusiv ist unser Sport?

23.09.2017: Arberland Ultra Trail, Tag 2 - © Marco Felgenhauer / Woidlife Photography © Marco Felgenhauer / woidlife photography

Zwei Männer gehen nach erfolgreichem Rennsteiglauf-Finish Arm in Arm zum Auto. Auf dem Weg kommt ihnen ein Junge auf seinem Kinderrad entgegen. Er dreht eine Extrarunde, um nochmal zu schauen. Normal scheint das für ihn nicht zu sein. Solche Szenen sieht man auch im Trailrunning selten. Trailrunner erklären gerne, dass unser Sport so inklusiv sei, dass die sexuelle Orientierung kein Thema wäre. Das wäre schön. Aber stimmt es?

Seit dem Kaiserreich stand in Deutschland die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern durch § 175 StGB unter Strafe. Das Kaiserreich ist lange her – aber der Paragraph wurde erst 1994 abgeschafft. Seitdem hat sich einiges getan, auch wenn der Weg bis zur wirklichen Gleichberechtigung für von der allgemeinen Norm abweichende Liebende noch immer lang ist.

Queerness im Trailrunning

Love Trails Festival
Love Trails Festival

Was das mit Trailrunning zu tun hat, zeigt zum Beispiel ein Blick nach Großbritannien. Dort gibt es Veranstaltungen wie das Love Trails Festival, das in seinem Programm 2024 unter anderem einen Beitrag von David Kam hat. Er ist „Activist in Residence“ am berühmten King’s College London und berichtet während des Festivals über queeres Leben, Freiheit, Philosophie, Yoga, Tanz und Architektur.

In den USA gab es 2022 das erste Out Trails Event am Mount St. Helens, das sich ausschließlich an queere Personen richtete und von Ryan Montgomery organisiert wurde, der selber oft das Gefühl hatte, auf den Trails nicht komplett er selber sein zu können. Außerhalb der USA ist er wahrscheinlich besser bekannt für seinen dritten Platz beim Tarawera Ultramarathon by UTMB 2023.

Ebenfalls in den USA gibt es seit 2024 ein gesondertes Preisgeld für non-binäre Menschen beim Broken Arrow Skyrace. Die Leistungen müssen vergleichbar mit den Frauen- und Männer-Kategorien sein und sind als Zeichen gedacht:

The Broken Arrow Skyrace strives to create a warm, welcoming, and inclusive environment for all athletes, irrespective of their sexual orientation, gender identity, or designation. (…) This official recognition is a crucial first step in ensuring that nonbinary athletes, whether elite or recreational, feel not just safe and welcomed but truly celebrated and included in our community.

Inklusionswüste Deutschland?

Und bei uns? Da gibt es nahezu nichts dergleichen. Wir haben gesucht und nachgefragt. Es gibt ein paar – vor allem schwule – Sportvereine in Deutschland. Die beschäftigen sich aber nicht mit Trailrunning.

Im Alpenverein DAV gibt es die 2004 gegründete Sektion GOC, Gay Outdoor Club, und ganz neu darin auch eine eigene Gruppe für Trailrunning. Eine Website hat die Gruppe noch nicht, aber Interessierte können über die GOC-Seite Kontakt zu Markus aufnehmen, der die Gruppe leitet. Von Uwe, Vorstand Öffentlichkeitsarbeit des GOC, hören wir die These, dass „für die Beteiligten die sexuelle Orientierung nicht so im Vordergrund steht und sie vielmehr einfach Interesse am Sport haben.“

Der Sport im Zentrum?

Wie sieht es nun auf den Trails aus? Wir laufen gemeinsam, reden, lachen – und streiten bei Wettkämpfen um die besten Platzierungen. „Trailrunning ist da schon etwas besonders,“ erzählt Johannes. Er ist schwul und begeisterter Trailrunner. Genau wie Cuong. Gemeinsam sitzen wir in einer Berliner Bar, lachen über die Episode vom Rennsteig und diskutieren, ob es sowas wie Queeres Trailrunning überhaupt braucht. „Man läuft ja oft lange Strecken, verbringt ein paar Kilometer gemeinsam, läuft dann wieder allein. Man ist quasi gemeinsam einsam und im Ziel geht es dann wieder auseinander. Da hat Sexualität gar keinen Platz,“ ist Johannes überzeugt. Er trägt einen Ehering, auf den er bei Wettkämpfen gelegentlich angesprochen wird: Ob die Frau denn auch dabei sei? Wenn er dann erwidert, dass sein Mann nicht dabei ist, gibt es meistens eine Entschuldigung und dann ist das Thema gegessen.

Cuong beim O-SEE Ultra Trail
Cuong beim O-SEE Ultra Trail © O-SEE Ultra Trail

Auch für Cuong steht der Sport im Vordergrund. „Eine rein queere Veranstaltung möchte ich gar nicht haben. Es geht hier doch um den Sport und die Leistung.“ Allerdings wird abseits vom Wettkampf ein Schuh draus. Wenn man mit entfernt Bekannten für die kurze Nacht vor der Veranstaltung ein Zimmer teilt, oder sogar ein Bett – sagt man dann, dass man schwul ist? Würde es Probleme machen, die vorher nicht da waren? „Wenn wir gemeinsam zu einem Wettkampf fahren, ist es jedenfalls deutlich entspannter,“ sind sich beide einig. Sie kennen sich gut und können sie selber sein. Vor allem für Cuong ist das ein großes Thema. „Ich möchte mich nicht verstellen und mich nicht fragen müssen, was ich sagen und tun darf.“

Sicherheitsbedürfnis und Diskriminierung

Den beiden fehlt nicht die Akzeptanz der Szene, sondern der Diskurs. Denn wer der heteronormativen Mehrheit angehört, kann leicht sagen: „mir ist deine sexuelle Orientierung egal – mach dir nicht so einen Kopf“. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat die Person nie selber erfahren, wie es ist, für etwas zutiefst Persönliches diffamiert oder gar diskriminiert zu werden. „Selbst wenn es nur die Regenbogenfahne auf der Veranstaltungs-Homepage ist, ist das schon ein Zeichen und zeigt Bereitschaft, das Thema anzusprechen. Mehr als diese Signalwirkung braucht es oft gar nicht,“ setzt Cuong fort.

Heterosexuelle Männer – und das ist die große Mehrheit der Trailrunner in Deutschland – werden nicht blöd angemacht, weil sie heterosexuell sind. Sie können auch ohne Probleme in erzkonservativen Gegenden alleine laufen, ohne dass sie unangenehme Situationen befürchten müssen. Es sind also ganz andere Sicherheitsbedürfnisse – oder Unsicherheitsgefühle. Dieser Perspektivwechsel ist aber wichtig um zu verstehen, wie queere Menschen ihre Lebenswelt beurteilen. Und die ist selten nett zu ihnen:

Die Zahlen der registrierten Fälle von Hasskriminalität gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen steigt seit Beginn ihrer Erfassung 2001 stetig an. Allein im vergangenen Jahr hat die Polizei mehr als 1400 Straftaten registriert. Laut Bundesinnenministerium fallen 1005 Straftaten in die Kategorie „sexuelle Orientierung“, 227 davon sind Gewaltdelikte. 417 weiterer Fälle wurden dem Themenfeld „geschlechtliche Diversität“ zugeordnet, wovon 82 Gewalttaten sind. Seit 2018 haben sich die Zahlen der erfassten Straftaten um fast 200 Prozent erhöht.
Tagesschau

Trailrunning als sicherer, a-sexueller Raum

XC-RUN.de Traum-Team-Treffen
XC-RUN.de Traum-Team-Treffen © Michael Rackl

Wohin führt uns das jetzt alles? Ist die deutschsprachige Trailrunning-Szene deutlich hinterher in Sachen Inklusion? Oder bietet sie gerade durch den Fokus auf den oft entbehrungsreichen Sport eine Art a-sexuellen Rückzugsraum? Den oft zitierten Safe(r) Space? Cuong und Johannes lächeln bei dem Gedanken. „So habe ich da noch nicht drüber nachgedacht“, sagt Johannes. „Aber da ist schon was dran.“

Wir bestellen das nächste Bier. Das Gespräch pendelt von Trail-Plänen zu schwulen Kreuzfahrten, integriert Fachgesimpel über Schuhe und ein gemeinsames Lachen über englische Touristen, die im Berliner Regenwetter oben ohne durch die Straße ziehen, damit die Shirts nicht nass werden. Plötzlich kommt noch ein spannender Gedanke auf: „Fällt euch ein Profi ein, der oder die sich als queer geoutet hat? Mir nicht. Rein rechnerisch kann das gar nicht sein.“

Auch mir fällt niemand ein. Bei anderen Sportarten hat das ebenfalls ewig gedauert und ist bis heute oft noch ein Tabu. Warten wir ab, was die nächsten Jahre bringen. Die Trailrunning-Szene wird sich vergrößern – vielleicht wird sie auch bunter werden. Offen jedenfalls scheint sie tatsächlich schon zu sein.

Vielleicht ist Trailrunning also das, was wir uns alle – auch von der Gesellschaft – wünschen: ein Ort, an dem man einfach sein kann. Gerne mit etwas mehr Diskurs, aber ohne dass daraus verkrampftes Müssen wird. Trailrunning ist eine der wenigen Individual-Sportarten, die einen so starken Community-Faktor hat. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass sich alle Laufenden gesehen, gehört und geborgen fühlen. Es braucht oft nicht mehr als ein paar Gesten, Zeichen oder Worte.

Hintergründe und Informationen im internationalen Vergleich zum Status Quo, über Rechte und Gefahren für queere Menschen gibt es im Jahresbericht des ILGA Europe.

Tobias Gerber