Gletscher Trailrun 2019: An Tagen wie diesen

Markus Mingo beim Ötztaler Gletscher Trailrun 2019 © ÖTZTAL TOURISMUS

Wie hatte ich mich gefreut auf diesen Trailrun in Obergurgl im hinteren Ötztal: Die perfekte, mit viel Herzblut durchgeführte Organisation von Martin Scheiber und seinem Team und die vielen freundlichen Menschen im Tiroler Seitental durfte ich bereits beim Stuiben Trailrun 2018 kennen lernen. Beim neu eingeführten Gletscher Ultra-Trail galt es anspruchsvolle Trails mit einer ordentlichen Portion technischer Raffinesse zu meistern. Selbst für geübte Lauf-Freaks bildet die Höhenlage zwischen 2.000 und 3.000 Meter eine besondere Herausforderung und 66 Kilometer und 3.900  technisch sehr anspruchsvolle Höhenmeter über Schnee und Eis, ausgesetzten Graden und Klettersteigen inmitten unzähliger majestätischer Gletscher lassen das Herz jedes ambitionierten Trailrunners höher schlagen. Dazu sagte mir mit Martin Bauer ein befreundeter Läufer aus dem Bayerwald spontan zu mitzufahren – einem tollen Bergwochenende stand also nichts im Wege.

Es läuft schleppend

Aber irgendwie lief es nicht dieses Mal: Bereits bei der Anreise nahmen wir jede Verzögerung mit und schafften es sogar an der Autobahntoillete im „Stau“ zu stehen. Wir kamen deutlich zu spät, der „Top Mountain Run“, den ich eigentlich zum „Warm-Up“ am Freitag mitnehmen wollte, fiel somit flach. Dafür ein nettes Abendessen mit Matthias Krah und Benni Bublak, bei dem erfrischender Weise nicht Trails, sondern unsere Jungs das Hauptthema waren – so ändern sich die Zeiten.

Ungewohnter Start um 2 Uhr Nachts

Mein Renntag begann um 00:40 Uhr damit, dass mir mein Transponder in die Toilettenschüssel fiel. Im Nachhinein hätte ich wohl runterspülen und mich wieder hinlegen sollen – aber von Anfang an: Dem Start um 2.00 Uhr Nachts stand ich mit gemischten Gefühlen gegenüber: Einerseits lockte mich das Abenteuer bei Nacht und Stirnlampenlicht durch die Gletscherwelt zu laufen, andererseits war mein Körper diese nächtliche Belastung nicht gewohnt und strafte mich mit Müdigkeit, Trägheit und ausgeprägtem Völlegefühl – auch der Magen wollte wohl noch nicht arbeiten. Zusammen mit vielen Gleichgesinnten ging es los und bereits nach drei Kilometern lag ich zum ersten Mal auf der Nase um mich blutend, nass und mit zerrissenen Klamotten auf die verbleibenden 63 Kilometer zu machen. Ich war über ein aufgestelltes Holzbrett gestolpert und wünschte mich nach Hause in mein warmes Ehebett. Ab dann fand ich komischerweise ins Rennen: Die Führungsgruppe um Marcus Burger, Matthias Krah, Stefan Zell und mir blieb in der Dunkelheit zusammen um vor allem bezüglich Orientierung und Streckenfindung perfekt zu harmonieren. Der „Nachtlauf“ fühlte sich locker und geschmeidig an und die Höhenwege im Schein der Stirnlampe inmitten der majestätisch anmutenden Gletscher erforderten höchste Konzentration. Nach genau drei Stunden der unbeschreibliche Sonnenaufgang um fünf Uhr morgens auf der Ramolhütte (3008 m), dem höchsten Punkt der Strecke. Was dann folgte war wohl mit das Schönste, was ich jemals in einem Wettkampf laufen durfte: Technisch sehr anspruchsvolle, teilweise seilversicherte Pfade, hinab zur mehr als beeindruckenden Piccard-Brücke durch landschaftliche Kleinode wie das Rotmoostal bis hinauf zur Hohen Mut Alm. Auf diesem Abschnitt konnte ich mich mit Marcus Burger etwas absetzen. Beine und Laufgefühl waren nach wie vor gut und in Gedanken war ich schon auf dem Podium.

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben

Denkste! Die Kurzfassung: Marcus und ich standen nach 44 Kilometern und einem langen, kräftezehrenden Anstieg an der Bergstation der Roßkarbahn – keine Markierung in Sicht. Wir hatten uns sowas von verlaufen. Was mein Mitstreiter dann ablieferte verdient allerhöchsten Respekt: Marcus sprintete förmlich zurück in Richtung Tal und holte sich trotz zusätzlicher fünf Kilometer und 400 Höhenmeter den dritten Platz mit „nur“ 20 Minuten Rückstand auf Matthias Krah. Mir fehlten dazu heute die Kraft und die mentale Stärke. Also tat ich das, was man als Mann eben so tut, wenn man nicht mehr weiter weiß – ich ging erst einmal in aller Ruhe Pinkeln und ließ mir meine Situation durch den Kopf gehen. Marcus war inzwischen als ferner Punkt hunderte Meter weiter unten entschwunden und ich begab mich immer noch unschlüssig und völlig konsterniert zurück in Richtung Tal.

Frustrierter Rennabbruch

Nach einer gefühlten Ewigkeit der Suche nach der richtigen Strecke beschloss ich auszusteigen und nach Obergurgl zu traben. Im Tal dann die Bestandsaufnahme: 52 Kilometer, 3200 Höhenmeter, 7 Stunden Lauf- und Suchzeit, meine Lieblingshose hing mir in Fetzen herab, die Schuhe hinüber, die rechte Seite blutig und dazu den Podestplatz verschenkt. Als ich Schuhe und Socken auszog bestätigte sich noch meine Vermutung während des Rennens. In der Eile hatte ich sie eine Nummer zu klein eingepackt und mich begrüßten acht dunkelblaue Zehennägel. Tja, es gibt sie diese Tage an denen man im Bett besser aufgehoben wäre.

Erst die Chefin meines Hotels Alpenaussicht in Obergurgl zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Durch den vorzeitigen Rennabbruch hatte ich es immerhin noch zum Frühstück geschafft und wurde nun mit netten Worten und selbst hergestellten Köstlichkeiten wieder aufgebaut. Ich gebe ja eigentlich nie Hoteltipps, aber falls ihr mal auf der Suche nach einer familiären, großartigen Unterkunft in Obergurgl seid – bitteschön. Geduscht und gestärkt geht es dann noch einmal in den Zielbereich, um auf Videoleinwand den Rest des Rennens zu verfolgen, andere Läufer anzufeuern und Martin auf einem starken 13. Platz über die Marathondistanz im Ziel zu empfangen. Alles in Allem also doch noch ein schöner Ausflug ins Ötztal.

Fazit zum Event

Man spürt in jeder Faser des Events, dass Hauptorganisator Martin Scheiber selbst leidenschaftlicher Trailrunner ist: Mit viel Herzblut und Liebe zum Detail organisierte Veranstaltung mit technisch anspruchsvollen Strecken in einer grandiosen Landschaft. Dazu die Infrastruktur einer Touristenhochburg, die wohl auch noch höhere Teilnehmerzahlen zulassen würde. Ein Event mit Zukunft in einer Region, die für das Trailrunning im Sommer geradezu geschaffen ist. Unbedingt mal ansehen! Einzig an der Streckenmarkierung (vor allem für den nächtlichen Abschnitt) und manchen Verpflegungsstationen (VP4 Schönwieshütte war noch gar nicht besetzt als wir durchliefen) sollte man arbeiten.

Kurzbericht inklusive Ergebnisliste

Bildergalerie

Weitere Galeriebilder folgen die nächsten Tage…