Madrisa Trail 2020: Von Hygienekonzepten und Läufer-Midlife-Krisen

Madrisa Trail 2020, Klosters-Davos, Schweiz © sportograf.com

Veranstalter haben es nicht leicht in diesen besonderen Zeiten: Sonderregelungen, Hygienmaßnahmen und Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie zwangen die meisten Events 2020 zur Absage. In Klosters (Davos) kamen an diesem Wochenende noch heftiger Dauerregen, Gewitter und Schneefälle in höheren Lagen dazu. Eins vorweg: Die Organisatoren und Helfer meisterten diese Herausforderung mit Bravour und zeigten mindestens so viel Herz und Kampfgeist wie die rund 550 Athleten bei der Premiere des Madrisa Trail.

Trailrunning in Corona Zeiten

Wie kann man sich ein Trailevent in Pandemie-Zeiten vorstellen? Beim Laufen selbst gibt es kaum Unterschiede: Auf einer 55 Kilometer langen Runde durch die Schweizer Bergwelt entzerrt sich das Feld so sehr, dass man über weite Strecken allein läuft. Es gibt keine Menschenmassen, keine Rudelbildung und erst recht kein Peloton. Meist sieht man die Konkurrenz nur in ausreichender Entfernung und bewegt sich auf schmalen Bergpfaden. Bei den Überholmanövern nimmt man Rücksicht und hält Abstand. Information und Streckenbriefing erfolgen online, die Startnummer erhält man per Post oder mit strengen Hygieneauflagen, Duschen gibt es nicht oder nur in privaten Unterkünften. Verpflegung gibt es abgepackt, von Helfern mit Mund-Nasen-Schutz und Handschuhen und nur in eigene Behälter oder Trinkbecher. Die Party im Ziel entfällt und die Siegerehrung findet im kleinen Rahmen oder online statt. Auch der Start erfolgt in kleinen Blöcken und mit ausreichend Abstand zum Nebenmann. Auffällig: Englisch, Spanisch oder Italienisch hört man nicht in den Startblöcken. Die Sportler haben Angst, dass sie nicht mehr Ausreisen, bzw. bei der Rückreise in Quarantäne müssen.

Weltuntergangswetter im Pättigau

Es schüttet wie aus Kübeln ohne Aussicht auf Besserung. Die Challenge Davos, eine Triathlonveranstaltung im Nachbarort mit den deutschen Hoffnungen Sebastian Kienle und Sebastian Neef wurde gestern wegen Unwettern abgebrochen und auch heute kämpfen die Veranstalter um die Durchführung ihres Events. Heftige Regenschauer, verbunden mit Murenabgängen und ganztägiger Gewitterwarnung zwangen die Organisatoren allein in den letzten 48 Stunden zur dreimaligen Änderung von Startzeit und Strecke. 48 Kilometer und 2600 Höhenmeter liegen nun vor den Athleten des T54. Mit dabei das Maß aller Dinge im deutschsprachigen Trailrunning: Stephan Hugenschmidt ist nicht nur Wahlprättigauer, sondern auch Aushängeschild und Streckenbauer des Madrisa Trail und führt das Feld von Beginn an. Ich fühle mich gut und versuche an der Spitzengruppe dran zu bleiben. Das gelingt gut und ich passiere die erste Verpflegungsstation auf Rang vier liegend in der Spitzengruppe. Der folgende lange Anstieg von rund 1500 Höhenmetern ist nicht meine Stärke, aber ich liege etwa zwei Minuten hinter dem Dritten, fest entschlossen den Rückstand in den Downhills er zweiten Streckenhälfte zu egalisieren. In den hohen Lagen am Schaffürggli zwingt mich die Kälte in die Knie: Dauerregen, verbunden mit Wind und Temperaturen um den Gefrierpunkt fahren mir durch Mark und Bein. Am Gipfel angekommen bin ich völlig unterkühlt. Die Brust ist so kalt, dass ich kaum Luft bekomme, die Oberschenkel fühlen sich taub an und die klammen Finger krallen sich um die Stöcke. Ich kann mich nicht erinnern jemals so gefroren zu haben. Regenjacke überziehen nützt jetzt auch nichts mehr – das hätte ich mal vor einer Stunde machen sollen. Ich entschließe mich, bis zur VP 2 zu laufen und die komplette Kleidung zu tauschen – langes Shirt, Zusathose und Jacke sind Teil der Pflichtausrüstung und im Rucksack verstaut. Die nächsten drei Kilometer laufe ich auf Autopilot. Hier zahlen sich tausende Trainingskilometer aus: Der Kopf völlig neben der Spur, schießen die Beine instinktmäßig über Bergpfade und meistern die Downhills. Die Trails sind teilweise so überflutet, dass ich durch knietiefes, eiskaltes Gebirgswasser laufe.

Vom Wettkampf in den Wohlfühlmodus

Endlich erreiche ich VP2 und wie es der Zufall will steigt „just-in-time“ Michael Förster aus der Gondel um Basilia zu supporten. Er hilft mir aus den tropfnassen, am Körper klebenden Klamotten (sonst hätte man sie mir wohl vom Leib schneiden müssen) und mit klammen Fingern suche ich Wechselkleidung aus dem Rucksack. Das Ganze kostet mich höchstens ein paar Minuten, trotzdem verliere ich den Anschluss und werde auf Platz sechs durchgereicht. Was dann mit mir passiert kann ich schwer beschreiben: Mit den wohlig warmen Kleidungsstücken und der schützenden Shakedry Regenjacke am Körper wechsle ich vom Wettkampf- in den Wohlfühlmodus. Die Kilometer plätschern sprichwörtlich dahin, ich genieße Lauf und Landschaft aber auf „Schinden“ habe ich keine Lust mehr. Mit dieser Einstellung ist im starken Starterfeld kein Blumentopf zu gewinnen und nach 4:56h lande ich auf dem sechsten Platz.

Quälende Fragen im Ziel

48 Kilometer mit 2600 Höhenmeter unter 5 Stunden auf anspruchsvoller Strecke ist eigentlich ganz ordentlich. Trotzdem sind im Corona-Jahr 2020 die Wettkämpfe rar gesät und deshalb die Leistungsdichte des Starterfeldes so hoch, dass man keine Schwäche zeigen darf, um auf dem Podium zu stehen. Im Ziel quälen mich dann doch einige Fragen: Hätte ich ohne Rücksicht auf Verluste durchziehen sollen? Nein! Gesundheit geht vor und nächste Woche beginnt die Schule. Habe ich meinen Biss, meinen Kampfgeist meinen Punch verloren? Bin ich zu satt? Zu alt? Nicht mehr konkurrenzfähig, wenn es darauf ankommt? Ich weiß es nicht! Ein, zwei Rennen habe ich mir 2020 noch vorgenommen – hier werden wir dann sehen ob Körper und Kopf nochmal bereit sind Vollgas zu geben. Wenn nicht – auch egal. Ich mache das Ganze ja, weil ich es gerne tue…

Bildergalerie

Offizieller Rennbericht und Ergebnisse

Sunshine in my heart: Basilia Försters Reportage