Plan B Everesting – Sneak PreRun

Plan B Everesting 2025

Das Konzept Everesting ist einfach

Jeder Anstieg kann genutzt werden, um diesen so oft zu bewältigen, bis die Höhe des Mount Everests von 8.849 m erreicht ist. Veranstalter Plan B entschied sich für eine reine Uphill-Variante – der Abstieg erfolgte per Seilbahn. Das Event fand im kleinen Kreis mit ca. 30 ausgewählten Athletinnen und Athleten statt, die die Strecke einzeln oder im Team in Angriff nahmen. Für das kommende Jahr plant Plan B ein öffentliches Kick-off-Event.

Für xc-run.de war Michael Förster vor Ort und berichtet vom Erlebnis und seinen Gedanken dazu.

Der Blick in den Spiegel

Plan B Everesting 2025

Kurz vor vier Uhr morgens verabschiede ich mich auf dem Parkplatz vor der Garmischer Olympiaschanze von den wenigen Verbliebenen. Uta von Plan B war unser Host dieser Everesting-Einladungsparty. Berglauflegende Rosi meine Begleiterin auf den 18 Aufstiegen. Ich winke ihnen zum Abschied zu. Es ist geschafft. Das erste Everesting dieses Formats in Garmisch – und wir waren dabei. Vom Parkplatz zum Eckbauer. Zu Fuß rauf, mit der Gondel runter. So lange, bis man die 8.849 Meter des Mount Everest symbolisch erklommen hat.

Ich setze mich ins Auto, schaue in den Spiegel. Ich sehe müde aus. Ich muss an Sisyphos denken. Jenen tragischen Helden der griechischen Mythologie, der zur Strafe einen Felsblock auf ewig einen Berg hinaufwälzen muss – der, fast am Gipfel, jedes Mal wieder ins Tal rollt. Albert Camus interessiert sich in seiner philosophischen Abhandlung über das Absurde Sisyphos’ Pause, für seinen Rückweg.

„Ein Gesicht, das sich so nahe dem Stein abmüht, ist selbst bereits Stein!“

Und es stimmt. Nicht nur der Blick in den Spiegel bestätigt mir das. Die heutige Anstrengung war anders als bei einem klassischen Ultratrail. Es war die immer wiederkehrende, gleiche Abfolge der auf 3,3 Kilometer verteilten 500 Höhenmeter. Zu häufiges Zählen wäre angesichts der großen Zahl frustrierend gewesen. Der bewusste Verzicht auf permanente Standortbestimmung verlieh dem Ganzen eine Art Unendlichkeit. So nähern wir uns Sisyphos und seiner verborgenen Freude.

„Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache.“

Und so schließe ich gedanklich mit Camus’ Beurteilung:

„Jeder Gran dieses Steins, jedes mineralische Aufblitzen in diesem in Nacht gehüllten Berg ist eine Welt für sich. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

Gedanken über die Zeit

Plan B Everesting 2025

So sehr ich mir während der vielen Aufstiege das Ende herbeigesehnt habe, so sehr fehlt nun etwas. So wie auch das Nachlassen eines dauerhaften Schmerzes erst einmal eine ungewohnte Leere entstehen lässt, so fehlt auch jetzt etwas. Zu abrupt kam das Ende. Die achtzehnte Durchquerung des Zielbogens. Die achtzehnte Fahrt hinab in der Gondel. Ich blicke auf die Uhr. Bald wird es hell. Irgendwie ist die Zeit heute schnell vergangen – auch das ist ganz anders als bei einem klassischen Ultratrail.

Neue Orte, neue Trails, neue Menschen – immer wieder Abwechslung. In unserer Kindheit dauerten die letzten Tage bis Weihnachten ewig. Jetzt verfliegen Wochen, Monate, Jahre. Die Erklärung ist einfach: Nichts ist mehr neu, das meiste wiederholt sich. Unsere Wahrnehmung gleicht nur noch mit Vergangenem ab: der gleiche Weg ins Büro, die gleichen Gespräche, die gleichen Muster. Alles verschwimmt im Zeitverlauf. Gleich einer ZIP-Datei wird alles Redundante gelöscht. Heute, gestern oder vor fünf Jahren? Unserem Bewusstsein egal. Die Schnittmenge ist zu groß. Die Zeit rast. Das Everesting ist für mich eine willkommene Erinnerung an das Paradoxon, dass Menschen sich gegen die vermeintliche Bedrohung eines Akzelerationismus zur Wehr setzen – den perzeptiven Verlust von Lebenszeit aber unwidersprochen in Kauf nehmen.

Faszination Everesting

Plan B Everesting 2025

Warum fasziniert das Konzept Everesting dennoch? Mir fällt das Zitat eines Radfahrers ein, der seinen Ergometer vor einer weißen Wand platziert hatte und gefragt wurde, warum er nicht wenigstens mit einem Fernseher für Ablenkung sorge.

„Ich will den Kopf trainieren, nicht die Beine.“

Keine Neugier auf das Tal hinter dem Gipfel. Keine flowigen Trails im nächsten Abschnitt, die neue Kräfte wecken. Es zählt nur der pure Wille – immer weiterzumachen. Fast wie auf dem Laufband, nur draußen, nur steiler. Die Logistik ist ebenfalls einfach: Am höchsten Punkt schnappt man sich seine Dropbag, Getränke und Essen und setzt sich damit in die Gondel. Diese fährt ununterbrochen – wie ein guter Skilift, nur ohne Wartezeit. Angesichts der kalten Temperaturen bin ich gerade in der zweiten Hälfte froh über Rettungsdecke und Jacke, um auf der zwölfminütigen Fahrt nicht zu stark auszukühlen. Bananenkuchen, Riegel und Gels bringen die im Aufstieg verlorene Energie schnell zurück. Noch nie habe ich mich über so lange Zeit so gut verpflegt.

Der Versuch einer Rekonstruktion

Plan B Everesting 2025

Auf der kurzen Heimfahrt flackern immer wieder Bilder vor mir auf. Einmal saß Denis mit in der Gondel. Da war es hell. Einmal Annika. Da war es dunkel. Da bin ich mir aber nicht mehr so sicher. Vielleicht war es auch hell. Ich versuche zu rekonstruieren: der erste Anstieg, der zweite, dritte, vierte. Ich kann nichts mehr auseinanderhalten. Alles verschwimmt. Denis gab mir den Tipp, Notizen zu machen. Habe ich nicht gemacht – bewusst. Ich wollte die Erfahrung ungefiltert erleben. Nicht aus der journalistischen Metaebene, sondern aus der unmittelbaren Perspektive des Akteurs. In den Nebel eintauchen, der den Berg nach den vergangenen Regentagen umhüllt – und als anderer Mensch wieder auftauchen. Um eine Erfahrung reicher. Eine Erfahrung, die mich näher zu mir selbst bringen würde. Die mir zeigen sollte, wie ich den Fokus behalte, Widrigkeiten beiseite räume und an meinem Ziel festhalte.

Gestern, heute und morgen

Rosi und ich hatten uns viel aus früheren Zeiten zu erzählen, dann gar nichts mehr. Dann wieder etwas über die aktuelle Situation. Kommunikativ haben wir die Vergangenheit hinter uns gelassen – die Zukunft ganz bewusst ausgespart. Nichts ist gefährlicher, als ein Finish herbeizuträumen. Je länger wir unterwegs sind, desto präsenter sind wir. Es geht nur noch um die Gegenwart. Um den nächsten Schritt. Und dann wieder den nächsten. Und so weiter.

Wir sind eins mit der Strecke geworden. Mit ihrer Undulation. Und den hierdurch hervorgerufenen steilen Rampen im Mittelstück – auch bei Nacht gut erkennbar am Brennen der Beine. Wir könnten jede Kurve geistig durchlaufen. Wie ein Abfahrtsfahrer vor dem Rennen. Nur eben bergauf. Dieser Film wird nur unterbrochen von den zwölf Minuten in der Bahn. Bis zum Ende. Einem Ende, das sich gar nicht so anfühlt. Denn mit dem Ausstieg aus der Gondel beginnt ein neuer Aufstieg. Nur beim letzten Mal nicht.

Aber zum Glück gibt es nach diesem gelungenen Test im kommenden Jahr die Chance auf ein Comeback im größeren Rahmen. Ich bin dabei. Denn auch wenn es einem Zuschauer an der Wegstrecke nicht sofort auffällt, so bin ich überzeugt, dass Albert Camus mit seiner Einschätzung des Sisyphos als glücklichen Menschen recht hatte. Vielleicht werden wir in ferner Zukunft ebenfalls historische Erwähnung finden, wenn ein Gelehrter oberbayerischer Mythologie konstatiert:

„Wir müssen uns den Everester als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

Text und Bilder: Michael Förster