Marathon des Sables Peru: Ein Abenteuer am anderen Ende der Welt

Marathon des Sables Peru 2018 © Matthias Schwarze

Der Marathon des Sables, das legendäre „Toughest footrace on earth“. Für viele Läufer, egal ob Kurz-, Mittel- oder Ultralangstreckler, sind diese drei Worte ein weit entfernter Traum. Bereits 32 Mal fand dieses Rennen im marrokkanischen Teil der Sahara statt. Aus einer Ein-Mann-Expedition enstand ein Rennen, bei dem jährlich ca. 1000 Läufer und jedes Jahr sind auch bis zu 25 deutschsprachige Teilnehmer starten.

Längst ist jedoch der sogenannte MDS nicht mehr nur ein mittlerweile nahezu perfekt organisiertes Rennen, sondern auch ein eigenes Label geworden. Unter diesem Label eröffnete der französische Organisator und einstiger Rennpionier des MDS Patrick Bauer mit seinem Team im Jahr 2017 zwei ganz neue Rennen. Zum einen den Half-MDS auf Fuerteventura, welchen man getrost als Warm-Up und Einstieg in das Abenteuer Wüstenlauf bezeichnen kann, und ein dem MDS sehr ähnliches Rennen, in Südamerika, in Peru, den MDS Peru.

„Yes, it´s Peru!“

Bereits Ende 2016 gab es in der Szene Gerüchte über ein neues Rennen, doch der Veranstalter hüllte sich auch auf Nachfrage in Schweigen. Im Mai wurde ein kurzer Videotrailer veröffentlicht, der mir und wahrscheinlich auch vielen anderen einfach die Sprache verschlug. „Yes, it´s Peru“, mehr gab es nicht zu sagen. Gleichzeitig bekam ich eine Email, mit einer Einladung zu diesem Rennen. Innerhalb von 30 Minuten hatte ich die Familiensituation, Urlaub und Vertretungen geklärt und bereits die Flugvorbereitungen getroffen.

Dieses Land, mit Pazifik, Regenwald, Anden, unendlicher Weite und unzähligen kulturhistorischen Stätten stand schon lange auf der Bucketlist.

Wie bei einem MDS üblich, wurde über die Strecke im Vorfeld nichts bekannt. Lediglich die Grundvoraussetzungen und das Konzept waren klar: Es wird ein sogenanntes Multistagerace, mit sechs Etappen über insgesamt ca. 250km, mindestens ein Marathon und mindestens ein Ultramarathon werden dabei sein, es wird heiß, bis zu 45 Grad, es wird eine Wüste, die Wüste Ica, wirklich alles was du brauchst, musst du selbst tragen, so wie auch mindestens 2000kcal Nahrung, welche täglich nachzuweisen sind, Kleidung, Schlafsack, Pflicht- und Notfallausrüstung und vieles mehr. Der Veranstalter stellt dir nur eine tägliche Ration Wasser, ein Dach über dem Kopf und notfallmedizinische Versorgung zur Verfügung, für alles andere bist du selbst verantwortlich. Wer mit irgendetwas davon nicht klarkommt oder ein Zeitlimit nicht einhält, wird disqualifiziert und umgehend ausgeflogen.

Die Anreise nach Lima war ziemlich unkompliziert. Von nahezu jedem deutschen Flughafen über Amsterdam oder Paris nach Lima, geht jeden Tag ein Flieger und mit sechs Stunden Flug gegen die Zeit, ist das einfach ein langer Tag, der gefühlt nicht endet.

Nach gut 14 Stunden steigt man in der Abendsonne, am anderen Ende der Welt, aus dem Flieger. Ein paar Tage Zeit sollte man sich für diese Stadt ruhig nehmen. Als Läufer hat man den Vorteil, dass man die gesamte Stadt einfach laufend erkunden kann. Es ist bunt, grell, laut, heiß und einfach wahnsinnig anders dort.

300 Wüsten Gladiatoren in Lima

Das Treffen der modernen gut 300 Wüsten-Gladiatoren fand Sonntagsmorgens um neun auf dem Flughafen in Lima statt. Die letzten Teilnehmer waren soeben erst angekommen oder befanden sich sogar noch auf dem Rollfeld. Vor einer amerikanischen Cafébar fand eine erste kurze Begrüßung statt in der wir darauf vorbereitet wurden, den Rest des Tages im Bus zu verbringen.

Wir rechneten mit dem schlimmsten, aber der Veranstalter hatte wohl die besten Busse von ganz Peru gechartert, in denen auch die dann folgende nahezu 10-stündige Fahrt sowas wie angenehm war.

Beim Einsteigen gab es endlich das langersehnte Roadbook. Hier sind alle Infos zur Strecke zu finden, auch Längen und Höhen und insbesondere auch Infos zur gefürcheteten „long one“, der langen Etappe an Tag 4.

Jetzt wussten wir also endlich Bescheid. Es geht in die Wüste Ica, wir werden keinerlei Zivilisation sehen, die Strecke wird etwas mehr als 250km lang sein, die lange Etappe „nur“ rund 70km und das Höhenprofil sieht interessant und unerwartet zackig aus.

Gegen 21 Uhr kamen wir im Camp an. Mit Stirnlampen suchten wir einen Weg zum Camp, wo der Veranstalter zum ersten und zum letzten Mal für uns Zelte aufgebaut hatte. Freie Wahl, bei Null Sicht. Es handelte sich überraschenderweise um Ein-Personen-Zelte, die in Gruppen zu sechs bis sieben Zelten in sogenannte Zellen eingeteilt waren. Unsere ausgewählte Zelle und auch die Zellengenossen sollten uns die ganze Woche begleiten.

Campground an einer Maya Opferstätte

Für den nächsten Tag war der Medical-Check und das Race-Briefing vorgesehen. Zunächst einmal wurden wir aber mit einem echten Highlight begrüßt. Der Campground befand sich direkt an einer Maya Opferstätte, mitten im Nichts. Ein eindrucksvoller Anblick.

Der Medical- und Ausrüstungs-Check fand im Freien statt und ging sehr schnell von statten. Unsere Rücksäcke hatten ein Gewicht von knapp 10kg und damit lagen wir so ziemlich im Mittelfeld. Immerhin kommen auch noch 1,5 bis 3Liter Wasser hinzu. Medizinische Untersuchungen mussten bereits im Vorfeld erfolgen, hier wurde nur noch auf Vollständigkeit geprüft. Das restliche Gepäck konnte man jetzt hier abgeben und damit auch jegliche Möglichkeit sein Equipment jetzt noch zu verändern, etwas zu tauschen oder gar noch einmal aufzuladen. Goodbye Zivilisation. Ab jetzt würde sich jeder Planungsfehler gnadenlos bemerkbar machen.

In dieser Nacht spielte jemand auf einer Panflöte die Melodie von „Mission Impossible“ und noch einige andere musikalische Highlights. Das gehört auf jeden Fall zu unvergesslichen Momenten dazu.

Ab diesem Morgen folgte eine sich entwickelnde und sieben Tage andauernde Routine: Halb sechs aufstehen, Katzenwäsche, Feuer machen, Zelt abbauen und warten, dass es endlich losgeht.

„Right here, right now“

Ab 0800 Uhr peruanischer Wüstenzeit war das Race on. Kein „Highway to Hell“ mehr, „Right here, right now“, von Fatboy Slim war das Motto der Woche und das war genau richtig so.

Mit 12 kg Gepäck auf relativ hartem Untergrund waren die ersten 14km des Rennens grundsätzlich, trotz permanentem Anstieg, kein Problem. Den Wasserpunkt bei km14 erreichten wir nach knapp 1,5 Stunden und malten uns schon einen maximal 3,5-Stunden-Tag für die erste Etappe aus. Auf den folgenden 23km holte uns allerdings die gnadenlose Realität und Unbarmherzigkeit einer Wüstenlandschaft ein. In einem ausgetrockneten Flussbett, mit einer Mischung zwischen groben runden Steinen, losem tiefen Geröll und noch tieferem Sand bei gnadenloser Hitze benötigten wir allein dafür knapp 5 Stunden.

Die nächste Überraschung sollte folgen. Die Zelte waren natürlich nicht aufgebaut, sondern lediglich in Six-Packs in den Zellen zusammengelegt. Der Campground befand sich auf einer Hochebene bei Nasca, wieder direkt neben einer historischen Stätte der südamerikanischen Frühzeit. Auf diesen allgegenwärtigen Hochplateaus herrscht jedoch vom frühen Nachmittag bis zum frühen Abend Sturm. Bei 70 bis 80km/h Wind ein Zelt aufzubauen, während man währenddessen gesandstrahlt wird, nachdem man gerade 40km in einer ziemlich lebensfeindlichen Gegend an die Grenzen seines Körpers gebracht wurde, macht nicht nur wenig Spaß, sondern ist auch eine echte zusätzliche Herausforderung.

Selbst der Veranstalter war überrascht von der Heftigkeit dieser Winde

Selbst der Veranstalter war überrascht von der Heftigkeit dieser Winde und hatte täglich mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen, um zum Beispiel das Kommunikationszelt aufzubauen. Hier kamen zur Not auch mal sechs Trucks als Erdanker zum Einsatz.

Am ersten Tag bauten wir einfach alle Zelte unserer Zelle auf. Dies war zum einen natürlich ein Service für die anderen, zum anderen bekamen wir einfach auch mehr Routine in dieser Angelegenheit. Leider sollte sich herausstellen, dass bereits jetzt einer unserer Zellengenossen ausgestiegen war.

Tag zwei begann gleich mit kurzen harten An- und Abstiegen. Diese Etappe erinnerte mich unweigerlich an den Transalpine-Run und mit so etwas hatten viele Teilnehmer sicher nicht gerechnet. Der MDS in der Sahara ist zwar hart und heiß, aber Höhenmeter hat er kaum. An diesem Tag waren auf die gut 40km ca. 2000Höhenmeter verteilt, das zum Teil im tiefen Sand mit unglaublich hohen Sanddünen. Nach 6,5 Stunden kamen wir relativ locker und sehr weit vorn platziert ins Ziel. Dieses Terrain lag uns einfach sehr. Leider sollten wir auch an diesem Tag wieder zwei Zelte umsonst aufgebaut haben.

An diesem Tag gab es zum ersten Mal Post. Von zu Hause hat man die Möglichkeit Emails in das Camp zu schicken. Maximal 400 Zeichen und nur Text. Nach 4 Tagen ohne jeglichen Kontakt zu den Lieben daheim kann man sich kaum vorstellen was es bedeutet aufmunternde Wort zu lesen und man wird von Gefühlen überschwemmt. Danke für jedes Wort!

Tag drei dient oft nur als kleiner Anlauf für die lange Etappe am nächsten Tag. Das traf hier nicht zu. Harte 37km in der unendlichen Weite einer weißen Wüste, prägten diesen langen Tag.

Knapp ein Viertel der Teilnehmer war zu dieser Zeit bereits aus dem Rennen.

„The long one“ an Tag vier stand an. Wir wussten, wir laufen auf die Küste zu und es würde lang und hart werden, also schön langsam loslegen und alle Kräfte einteilen. 37 Stunden gab der Veranstalter Zeit, um die 70km zu bewältigen. Von Wasserpunkt zu Wasserpunkt, immer in gut 10km Abstand, teilt man sich dieses Rennen in Etappen ein. Einen Tiefpunkt hat an diesem Tag jeder, egal wie schnell er unterwegs ist. Das Terrain wechselte stündlich und wir wurden mit allem bedient, was eine Wüste zu bieten hat. Km 30 bis 50 liefen wir gegen den Nachmittagssturm direkt auf die Pazifikküste zu. Das waren unglaublich harte Kilometer. Belohnt wurden wir mit einem Abstieg von einer 350m hohen Sanddüne, im Sonnenuntergang, direkt auf das Wasser des Pazifik zu. An dieser Stelle waren vor uns vielleicht eine handvoll andere Personen. Um hierher zu gelangen, muss man mindestens 100km durch die Wüste. Diesen Sonnenuntergang nimmt uns niemand mehr, einfach unglaublich schön. Ab jetzt ging es durch die Nacht, noch einmal mit einem harten Anstieg und einem tollen Zieleinlauf, direkt am Pazifik. Nach gut 16 Stunden konnten wir mal wieder Zelte aufbauen. Leider bauten wir das dritte Zelt an diesem Tag umsonst auf und waren ab jetzt in unserer Zelle zu zweit allein, da in dieser Nacht auch unser letzter verbliebener Zellengenosse ausstieg und sich vorzeitig in das 5-Sterne-Ressort des Veranstalters transportieren ließ.

Der letzte Finisher von „long one“ war eine Dame aus Japan und kam nach knapp 37 Stunden ins Ziel. Ich bin mir sicher, sie wird diesen Zieleinlauf, bei dem sich ALLE versammelt hatten, niemals vergessen.

Alle anderen genossen ihren „freien“ Tag am Pazifikstrand mit einer eiskalten Cola vom Veranstalter.

Die schönste Route, die ich jemals laufen durfte.

Tag fünf ist traditionell die namensgebende klassische Marathondistanz. Immer an der rauen Pazifikküste entlang war diese Strecke die schönste Route, die ich je in meinem Leben gelaufen bin. Tiefblaues Wasser mit großen Wellen, Strände, Steilküste, weiße Wüste, mehrfarbige Dünen und schneeweiße Salzflächen bilden ein unvergessliches Zusammenspiel an Eindrücken. Absoluter Wahnsinn und jeden Schmerz wert.

Der letzte Tag bot auf einer kurzen Runde von rund 20km noch einmal alles. Der Zieleinlauf war herrlich unspektakulär.  Mitten im Nirgendwo hatte sich das komplette Race-Team versammelt und feierte jeden Finisher.

Endlich die Medaille und, viel wichtiger, ein weißes Weizenbrötchen mit Belag. Eine Geschmacksexplosion nach 7 Tagen Instant-Food, Riegeln, Gels und salzigem handwarmen Wasser.

Burger, Pommes, Bier!

Mit dem Bus ging es von dort in ein 5-Sterne-Ressort in Paracas. Mitten im Nichts befindet sich diese Anlage in einer Bucht, direkt am Strand.

Burger, Pommes und Bier, auf einer Liege am Strand. Das hatten wir uns verdient!

Nach zwei Tagen erfolgreichem Nichtstun wurden wir zum Flughafen zurückgefahren und die lange Rückreise stand an.

Nach insgesamt 32 Stunden Reise konnten wir wieder einen Fuß in unseren Harz setzen. Dieses Rennen wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.

Aber warum?!

Was macht es so attraktiv, durstig und mit permantem Hunger, ohne jeglichen Schnickschnack,  durch eine der heißesten Gegenden der Erde zu laufen und dafür auch noch tausende von Euro zu bezahlen?

Alles geht auf Null, man ist ganz bei sich. Das ganze Dasein konzentriert sich auf ganz simple Dinge wie Laufen, Kochen, Essen, Wunden versorgen, Schlafen und Vorbereitungen treffen, um einen neuen Tag genau so zu gestalten, wie auch der vorherige lief.

Ohne Handyempfang oder sonstigen jeglichen bekannten Luxus, abgeschnitten vom Rest der Welt, gibt es nur noch zwei Dinge: Einfach Laufen von A nach B und die Freundschaft.

Text und Fotos: Matthias Schwarze

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