Helm auf und schon geht es in den steilen Anstieg der Grignetta, dem ersten von zwei zu bewältigenden Gipfeln des Grigne Skymarathons. An Seilen und Ketten klettern wir den Gipfel hinauf, teilweise ziehe ich mich teilweise regelrecht an den Sicherungen hoch – der Fels ist noch rutschig vom Regen der Nacht. Die Zeit steht hier oben still. Ich weiß später nicht mehr, wie lange ich nach oben geklettert bin und wann es ebenso steil und versichert bergab ging.
Auch an den Gipfel erinnere ich mich nicht mehr. In der Tat ist hier jede Passage wie das Erklimmen eines Gipfels: Überall stehen Helfer der Bergwacht und Zuschauer und feuern mich – und alle anderen Laufenden – mit begeisternden Zurufen an. “Dai, dai, dai, Lisa”.
Hier ist kein Raum für überflüssige Gedanken, kein Raum für Müdigkeit – ich bin vollkommen auf den Moment fokussiert. In diesem Augenblick gibt es kein gestern und morgen. Daher weiß ich im Nachhinein auch nicht mehr, wie genau ich letztlich vom Grignetta in den Anstieg des Grigne, dem zweiten und letzten Gipfel des Rennens kam. Der Muskelkater im Schultergürtel erinnert mich am Folgetag zumindest daran, dass die Arme im Dauereinsatz waren und ich mich mehr kletternd als laufend die 43 Kilometer lange Strecke mit 3.900 Höhenmetern fortbewegt habe.
Auch erinnere ich mich an die Verpflegungsstellen, von denen bereits von Weitem Rufe und Musik zu hören sind. Besonders laut sind die Helfer und Zuschauer an der VP auf halber Höhe im Anstieg zum Grigne. Der Helm bleibt an der VP, ich selbst werde von der Stimmung und den Rufen weitergetragen. Weiter, in den letzten Teil des Anstiegs hinauf zum Grigne. Vom Gipfel geht es zurück nach Pasturo, auf zunächst steinigen, steilen Trails, die irgendwann in sanftere Wald-Trails übergehen. Hinab ins Dorf, wo alle zu warten scheinen – ob jung, ob alt, das ganze Dorf steht an der Straße und feiert die Läufer. Was für ein Fest!
Pizza, Pasta … und Skyrunning – das ist für mich Italien. Die phänomenale Strecke mit vielen Kilometern seilversichertem Gelände lässt Skyrunning-Herzen höherschlagen. Einmalig wird dieses Rennen jedoch durch die Stimmung an der Strecke. Meine Ohren klingeln noch immer von den lauten Rufen der Zuschauenden. Die Leidenschaft für den Sport kommt dabei in jedem ‘Dai’ zum Ausdruck. Am liebsten möchte ich mich direkt fürs kommende Jahr anmelden, um wieder dabei zu sein. Da der Grigne Skymarathon jedoch nur jedes zweite Jahr stattfindet, werde ich mich noch etwas gedulden müssen. Die Wartezeit wird glücklicherweise durch das Zacup Skyrace del Grignone – ein etwa 27km langes Rennen, ebenfalls startend in Pasturo – verkürzt. Beide Rennen finden im Wechsel statt.
Fino al prossimo anno, Pasturo!